Der Drache hat schon wieder in meinen Vorgarten geschissen. Langsam habe ich die Nase voll. Ich bin mit der Sache gleich in der Früh, nachdem ich sie entdeckt habe, hoch zu Gerhard. Gerhard hat nur gemeint, die Sache wäre wohl bedauerlich, aber zu hoch für ihn. Er sagt das so, als hätte er in meinen Vorgarten geschissen und nicht dieses verdammte Vieh. Es tut ihm ehrlich leid, aber das hilft mir wenig.
“Bedauerlich. Aber zu hoch, weißt du, Kalle? Das ist zu hoch für mich.” Das sagt er so wie immer, wenn etwas bei uns hier draußen geschieht, was auch immer dazu führt, dass es ihm “zu hoch ist”. Meistens macht er dazu eine Geste, bei der er mit der flachen Hand über seinem Kopf kreist: er schneidet mit der Handkante Truthahnhälse durch, die dort unsichtbar in der Luft schweben. So auch jetzt.
“Bedauerlich”, sagt er wie ein verdammter Idiot. “Bedauerlich.” So, als ob er irgendwie blöde wäre oder einen Schlag abbekommen hätte. “Bedauerlich, Kalle. Aber das ist zu hoch für mich, Kalle. Zu hoch, verstehst du mich? Ich kann da nichts machen, so ist das nunmal.” Manchmal zuckt er dann auch noch mit der Schulter und jammert ein wenig. Er lehnt dann die Hellebarde an die Wand, kratzt sich am Arschloch und jammert, während wir uns schweigend die aushängenden Papiere in seiner Stube ansehen.
So läuft das immer mit Gerhard.
All das Gewese für nichts und wieder nichts, denke ich mir. Schade drum. Ich sehe die Hellebarde an. Die Papiere. All die gezeichneten Gesichter auf den Papieren, die wichtigen Buchstaben, die mir wenig sagen, die Schnörkel und Symbole, die Zahlen – Goldsummen nehme ich an. Gerhard bohrt sich in der Nase, holt einen Popel in der Größe einer Rosine aus einem Nasenloch, sieht ihn an und stopft ihn sich ins andere Nasenloch. Er sagt “Mhm, so ist das wohl, mhm”, während er mich ansieht. Teufel, all das Gewese für nichts und wieder nichts, denke ich mir. Schade drum.
Ich stecke mir eine an, seufze, wir plaudern noch etwas. Katharina ist schwanger. Vielleicht von einem Grünen. Gerhard weiß es nicht. Er macht sich Sorgen, sagt er. Wir plaudern noch ein wenig, Gerhard und ich, und der Grüne, den er im Verdacht hat, kommt dann auch irgendwann vorbei. Er hat ein paar Briefe dabei – neue Papiere, die Gerhard neben die alten aushängen kann. Der Grüne ist ganz linkisch, als er uns sieht. Wir verprügeln ihn ein wenig, was Spaß macht, aber auch nicht weiter abendfüllend ist, wie man so sagt. Mir wird also bald langweilig und so unterhalte ich mich noch ein wenig mit Gerhard und wie fast jedesmal fällt mir auf, warum Gerhard und ich nicht dicker miteinander sind, wie man so sagt. Dicker. Und das nach all den Jahren – wie lange lebe ich jetzt schon hier? Wann ist Mimi von den Bergen runtergekommen, mit den Pelzigen? Ach, die Zeit, denke ich so bei mir. Der Grüne wimmert. Gerhard versetzt ihm noch einen Tritt und der fliegt zur Tür hinaus. Ich muss wieder daran denken, warum wir nicht dicker sind, Gerhard und ich. Gerhard ist ein Idiot. Also gehe ich wieder nachhause und mache mich daran, den riesigen Haufen Scheiße im Vorgarten wegzuschippen. Es hilft doch nichts.
Dieser Hurensohn von einem Drachen. Das ist es, was ich dabei denke – nicht aufregend, ich weiß. Ich fühle auch nichts aufregendes, dabei. Ich schätze, ich fühle mich verdammt ohnmächtig, wie man so sagt. Das ist alles. Kein großes Gewese. Aber sonst denke ich dabei nicht viel und an nichts bestimmtes. Das Denken war immer Mimis Sache. Seit sie abgehauen ist, fällt diese Sache mit dem Denken irgendwie flach. Unter den Tisch, wie man so sagt. Ich schippe stattdessen einfach die Drachenscheiße und denke an Mimi, anstatt an irgendetwas von dem, woran sie eben immer gedacht hat und an das ich vermutlich jetzt auch denken sollte, zu denken. Was auch immer das war, was sie immer gedacht hat. Große Dinge, schätze ich mal. Weitblickend und all das. Immerhin denke ich an was, denke ich mir – an Mimi. Ach, Mimi, Mensch, verdammt. Ich denke an den verdammten Wald, in dem sie jetzt lebt. Und an diese Pisser, die dort auch noch leben, verdammt. Ich schwitze wie ein Schwein. Es wird wieder ein heißer Tag und die ganze Scheiße in der Luft macht es auch nicht besser. Aber ich komme voran – und ja, jetzt denke ich ja doch so einiges. Geht doch. Schließlich bin ich zufrieden mit mir. An die Scheiße im Vorgarten erinnert bald nur noch ein drei Meter breiter Fleck niedergedrückten, braunen Rasens, der bestialisch stinkt. Besser als nichts, denke ich mir. Ich strenge mich an, das zu denken. Doch meine Laune verbessert das kaum – so zufrieden ich mit mir bin. Umso öfter ich die Sache mit dem Denken versuche, so wie Mimi, desto öfter habe ich den Eindruck, ich würde zuviel denken, als gut für mich ist: an verdammte scheiß Waldpisser. Und an den Grünen. Und an diesen verdammten Drachen zum Beispiel … Elendes Drecksvieh. Das ist doch eine ganze Menge. Nur an Gerhard denke ich nicht. Schon seltsam. Vielleicht sind Gedanken ansteckend und Menschen, die wenig denken wenig ansteckend.
Dafür das ganze Gewese, denke ich mir. Schade drum.
Ich rauche erstmal eine und esse Brot. Es ist so hart wie das Zeug, das in der Drachenscheiße allenthalben steckt und an meiner Schaufel klimpert, wenn ich sie in die Scheiße stampfe – Rüstungen und Schwerter, schätze ich mal. Verdammtes Brot. Ich mache mir Sorgen um meine Zähne. Trotzdem wird es noch ein schöner Tag. Ich trinke Bier. Abends sitze ich in einer Ecke im Garten, in der ich noch nie gesessen bin. Es ist ein lauer Abend. Ich trinke Bier und denke wenig – meistens an Mimi. An Mimi, wie sie weint. Ich weine nicht. Ich trinke Bier.
Eine Woche später scheißt mir der Drache wieder in den verdammten Garten. Er scheißt mir genau dorthin, wo ich jetzt immer sitze. Als ob er es ahnen würde. Ich gehe gleich wieder zu Gerhard hoch. Der kommt mir gleich wieder mit seinem “Bedauerlich, aber zu hoch.” Es ist nichts mit ihm zu machen. “Das ist bedauerlich Kalle, aber zu hoch für mich. Verstehst du mich, Kalle?” Es ist nichts zu machen. All das Gewese und doch nichts zu machen. Schade drum. Wir plaudern wieder. Katharina ist nicht mehr schwanger. Warum genau, das sagt Gerhard nicht. Ich frage auch nicht. Gerhard wirkt noch unkonzentrierter als sonst. Er ist fahrig und muss die Hellebarde dreimal an die Wand lehnen, bis sie endlich dort stehen bleibt, ohne umzufallen. Auch die papiernen Aushänge sind alle ganz schief und durcheinandergewürfelt. Das fällt mir gleich auf. Das sieht Gerhard gar nicht ähnlich. Egal, denke ich. Dann eben nicht. Ich habe meine eigenen Sorgen.
“Bedauerlich”, sagt Gerhard, als ich gehen will, weil der Grüne sich heute nicht blicken lässt, was mich ein wenig traurig stimmt. – “Jaja”, sage ich. Ich hätte ihn heute gut gebrauchen können, den Grünen. “Jaja, Gerhard. Ich weiß schon. Zu hoch. Ich weiß, Gerhard, ich weiß.”
“T-tut mir ehrlich leid, Kalle. Es ist wirklich bedauerlich.” Er steckt sich einen Finger unter die Nase.
“Ja, ich weiß, Gerhard. Schon gut.”
“Du weißt, wir sitzen hier alle im selben Boot, Kalle. Mir sind auch die Hände gebunden. Sieh nur die ganzen Papiere an.”
Er nickt mit dem Kinn in Richtung der Aushänge und ich glaube, es fällt ihm selber auf, dass sie ganz schief und durcheinander sind. Das fällt sogar mir auf. Er wirkt ein wenig verlegen. Vielleicht bilde ich mir das aber auch bloß ein. Ich beachte ihn alles in allem nicht großartig. Ich habe noch weniger Lust auf Gerhard als sonst schon. Ich denke mir wieder, wie wenig dick wir miteinander sind und wie wenig mich das wundert. Trotzdem, denke ich – trotzdem, Mensch, nach all den Jahren. Wann ist Mimi aus den Bergen runtergekommen? Ich wäre sonst nie so weit von Muttern weggezogen. Muttern stammt aus einem Dorf zwei Kilometer hinter dem Beinhügel. Ich muss ihr wieder mal schreiben.
“Neue Anordnungen”, sagt Gerhard, “Irgendwas mit dem Zwergenvolk. Die haben uns jetzt noch gefehlt. In Zeiten wie diesen.” Das ist auch so eine Sache, die Gerhard gerne sagt: “In Zeiten wie diesen.” Das sagt er oft. Oft auch in Verbindung damit, dass ihm etwas zu hoch ist und er für irgendetwas nichts kann. Die Hellebarde fällt um. Der Grüne huscht vor der offenen Tür vorbei. Gerhards Turm erscheint mir heute noch zugiger als sonst. Gerhard brüllt, als er den kleinen Grünen vor der Tür vorbeihuschen sieht und stampft ihm nach. Was für ein beschissener Tag. Es wird Herbst. Und ich stehe noch immer mit meinem Berg von Drachenscheiße da.
Ich sitze den halben Tag in meiner Hütte, am verdammten Esstisch und denke darüber nach, was Mimi wohl jetzt gerade gedacht hätte. Sie hätte gewusst, was mit der Drachenscheiße und dem Mistvieh und allem zu tun wäre. Ich Idiot sitze hingegen einfach nur da. Erst nach einer ganzen Weile bemerke ich, dass ich im Sitzen bewusstlos geworden bin. Das ganze Haus stinkt so derart nach dem riesigen Berg Drachenscheiße im hinteren Garten, dass ich doch tatsächlich im Sitzen bewusstlos geworden bin. Das gibt’s doch nicht. Ich habe die Schnauze so richtig voll.
Am Nachmittag gehe ich zum Innereienmann, der jetzt auch unser Feuermann ist. “Verdammt kalt hier drin”, sage ich zu ihm beim Reinkommen. Für einen Feuermann, denke ich bei mir.
“Ja, neue Gesetze, Kalle, ich will dich nicht langweilen.”
Wir trinken erstmal ein Bier. Es ist gemütlich bei ihm – bis auf die Sache mit der Kälte. Immerhin brennt irgendwo eine Kerze in einem Schädel. Und immerhin riecht es nicht nach Drachenscheiße. Er sitzt auf dem Schaffell, das nicht gegen seine Hämorrhoiden hilft und wir unterhalten uns ein wenig. “Deine Alte ist doch auch zu den verdammten Wald-Arschlöchern abgehauen, Kalle, oder?”
“Ja”, sage ich, “Verdammte spitzöhrige Arschlöcher.” Ich erzähle ihm von Gerhard und seinem Problem mit Katharina und dem Grünen und all dem.
“Ja, das habe ich gehört”, sagt der Innereienmann, der jetzt auch unser Feuermann ist und rutscht auf seinem blöden Schaffell hin und her. “Verdammt, seit Edna weg ist, will mein Arschloch nicht mehr so recht, Kalle. Es will einfach nicht mehr. Es ist zum Verrücktwerden.”
“Ja?”
“Ja, Kalle. Zum Verrücktwerden. Ich weiß auch nicht. Wie lange ist deine Alte jetzt weg, Kalle?”
Ich rechne nach, komme aber nicht drauf. “Ich komme nicht drauf, Innereienmann.”
“Ach, scheiße”, sagt er und hustet in seinen Tee. Er spritzt noch etwas Schnaps hinein und reicht mir auch eine Schale. “Ach, scheiße, Kalle. Verdammte feingliedrige Arschgeigen.”
“Ja, verdammte Wald-Arschgeigen, verdammte”, sage ich.
So sitzen wir eine Weile da und schweigen. Der Innereienmann grummelt ab und an in sich hinein und rutscht auf dem verdammten Schaffell hin und her. Langsam macht er mich ganz kirre mit seinem Schaffell und all dem. Wenn man länger bei ihm sitzt, merkt man, dass er stark nach Wachs und Ohrenschmalz riecht. Ich glaube, es ist Ohrenschmalz. Er bohrt sich jedenfalls viel in den Ohren rum. Das macht er mit dem kleinen Finger, während er die restlichen Finger so seltsam spreizt. Ich weiß auch nicht. Vielleicht ist das auch so eine Innereienmann-Sache. Oder eine Feuermann-Sache. Schließlich ist er jetzt auch unser Feuermann – auch, wenn man davon nicht viel merkt.
Wenn er nicht hinsieht, sehe ich ihn mir etwas genauer an und stelle fest, dass er alt geworden ist. Großporig. Seltsam: Ich weiß gar nicht, warum ich ihn mir so genau ansehe. Vielleicht, weil ich wissen will, was in so einem Innereienmann, der jetzt noch dazu Feuermann geworden ist, so vorgeht. Das hat mich immer schon interessiert. Schon als Kind. Da wäre ich gerne Priester oder auch Feuermann geworden. Später, viel später erst Kämpfer, wie mein Alter. Aber dann ist mein Alter im Riesenkrieg verwundet worden, ein Riese hat ihm beide Beine und den halben Pimmel mit einer Keule abgeschlagen und da war es mit meinen Krieger-Plänen rasch wieder vorbei. Mein Vater hockte nur noch zuhause rum und schimpfte auf die Riesen und auf die Feuermänner, die ihnen nicht Herr werden konnten, sondern immer nur Scheiße laberten und sich gegenseitig die Schwänze bepuderten, wie er es nannte – was auch immer das bedeutete.
“Große Sprüche können sie klopfen”, sagte er immer, in seine karierte Decke gehüllt, die ihm die Stümpfe wärmte, “Und sich gegenseitig die Schwänze bepudern” – was auch immer das bedeutete – “Aber nichts dahinter. Ha! Vonwegen Feuermänner! Da kann ich eher Feuer aus meinem Arschloch blasen, bevor einer von denen einem Riesen den Garaus macht” und bla-bla, so redete er den lieben langen Tag und dann noch etwas mehr vom Krieg und vom Gefangenenlager, wo er war und von den Weibern, die er vor seiner Verletzung alle gebumst hatte. Im Krieg. Im Krieg, da ging das noch, sagte er. Er sagte Krieg immer ganz komisch – so, als ob der etwas Kostbares wäre. Den halben Süden hätte er gebumst. Das erzählte er nur meinen Brüdern und mir und nur, wenn Mutter aus dem Haus war, logischerweise. Aber meine Mutter war ohnehin eine sehr strenge Frau und ließ ihn ohnehin nur reden, wenn sie nicht zuhause war, was leider oft der Fall war, weil sie für den Baron schuften gehen musste, um uns durchzubringen, sie schlug mit der Peitsche in seine Tümpel, um die Fingerlings darin zum Schweigen zu bringen. Also redete mein Vater sehr viel. Deswegen stritten sie oft, meine Mutter und mein Vater – weil er viel redete und sie viel schuftete, für den Baron –, aber das ist eine andere Geschichte.
“Du, warum ich komme, Innereienmann”, sage ich und erzählte ihm den ganzen Bumms mit der Drachenscheiße. “Darum bin ich ja eigentlich da.” Ich trinke noch die Schale leer, die er mir gegeben hat und erzähle.
“Zweimal schon?” sagt er und rümpft die Nase und rutscht auf seinem blöden Schaffell hin und her, als würde es ihn mehr und mehr am Arschloch jucken, je mehr ich sprach.
“Ja, zweimal schon, Alterchen.”
“Mhm.” Der Innereienmann brummt ein wenig in sich hinein und nickt. “Zweimal schon, mhm.” Mit zwei Fingern bohrt er in den Nasenlöchern. Aus der Ecke des Zelts, unter ein paar zusammengerollten Decken und Teppichen, kriecht eine kleine Grüne hervor und gähnt. Sie ist nackt. Sie kratzt sich unter den wurstartigen Titten und verschwindet im hinteren Teil des verrauchten Zelts. Der Innereienmann scheint sie gar nicht zu bemerken. Stattdessen brummt er immer noch in sich hinein, wie ein alter Blasebalg und macht sein “Mhm.”
“Nun. Drachenscheiße”, sagt er dann schließlich, da sei mir nur sehr schwer zu helfen. Er faselt irgendetwas vonwegen Drachenfarben und das goldene ganz besonders erotisch wären und grüne dafür schöner dichten könnten und den ganzen Stuss. Ich höre ihm nicht wirklich zu, sondern sehe nach dem hinteren Teil des verrauchten Zelts und nach der kleinen Grünen, die ich dort aber nicht mehr finden kann. Schließlich, glaube ich, sagt er etwas von einem Drachendildo.
“Wir brauchen einen Drachendildo.” Das ist sein genauer Wortlaut. Ich höre ihm wieder zu. Weil er es irgendwie mysteriös sagt, aber auch erschöpft, so als ob das alles eine wahnsinnig leidige Angelgenheit wäre.
“Einen was?”
“Einen Drachendildo. Das ist ein uraltes Artefakt … ein Relikt. Ein mächtiges … Ding.” Er sieht mich an und scheint mit der Wirkung seiner Worte irgendwie unzufrieden. “Ach, das ist alles eine wahnsinnig leidige Angelegenheit, Kalle. Willst du das wirklich alles hören? Es hat mit Legenden und so Scheiß zu tun.” Er sieht auf die Uhr und rülpst ein wenig. Ich glaube, er hat Hunger. Ich für meinen Teil habe jedenfalls Hunger, deswegen sage ich: “Nein, lass mal, Alterchen, lass lieber noch einen trinken” und wir trinken noch schnell einen Kurzen, reden noch ein wenig über die verdammten Wald-Arschlöcher und dann gehe ich nach Hause, um das restliche harte Brot zu essen. Dazu gibt es Speck. Es ist guter Speck. Immerhin. Anschließend lege ich mich schlafen und denke an Mimi, wobei ich mir einen runterhole.
Eine Woche später scheißt mir der Drache ein drittes Mal in den Vorgarten. Diesmal scheißt er genau dorthin, wo vorher mein Postkasten gestanden hat, sodass der Grüne mir an diesem Tag keine Post zustellt, der verdammte Hurensohn. Ich habe zwar sowieso keine erwartet, aber ich finde und prügele ihn trotzdem windelweich. Anschließend geht es mir nicht besser.
Ich schippe wieder Drachenscheiße und versuche dabei, so wie Mimi zu denken, was mir nicht gelingt. Der Haufen an Drachenscheiße hinter dem Haus ist bald größer als das Haus selbst. Wenn das so weitergeht, werde ich bald in einem Haufen Drachenscheiße leben, denke ich mir. Warum sucht das Mistvieh sich auch immer meinen Garten aus? Der Flecken auf dem Vorgarten, wo früher meine Einfahrt über den gepflegten Rasen schnitt und der Postkasten stand, ist ein braunes Oval an niedergewalztem Rasen, der sprießt wie verrückt. Gänseblümchen, Stiefmütterchen und Orkkraut schießt aus ihm hervor, als gäbe es kein Morgen. Nicht genug, dass alles stinkt und ich meine Tage mit Scheißeschippen verbringen muss – jetzt kann ich auch noch den Rasen mähen, wie ein Irrer, denke ich mir. Das wird alles immer bunter, verdammt, denke ich mir. Und hinter dem Haus türmt sich die Scheiße. Was würde Mimi nur tun, denke ich, während ich einen Teil des Berges in den nahen Fluss kippe, wo sie im Sommer das Bier brauen. Ich schwitze und ich placke mich ab. Was würde Mimi tun? Es fällt mir nicht ein. Deswegen esse ich ein wenig hartes Brot mit Speck – es ist immer noch guter Speck, aber auch der letzte – und ärgere mich noch mehr über die ganze Scheiße.
“Das ist mir zu hoch, Kalle”, sagt Gerhard wie üblich und schlägt mit seiner Handkante seine verdammten unsichtbaren Truthahnhälse durch. “Bedauerlich, aber zu hoch, Kalle”, das sagt er wie immer und wir reden von Katharina. Katharina ist jetzt nicht mehr schwanger und sie ist auch nicht mehr bei ihm. Sie ist jetzt auch zu den Wald-Arschlöchern gegangen. Es ist wieder zugig im Turm. War es hier immer schon so verdammt zugig?
“Verdammte drahtige Wald-Arschlöcher“, sagt Gerhard und ich nicke dazu. Zumindest in dieser Sache sind wir uns einig. Wir verprügeln heute mal den Grünen nicht, sondern gehen gemeinsam zum Innereienmann, der jetzt auch unser Feuermann ist. Gerhard braucht auch etwas von ihm und ich lasse eine Bemerkung fallen, so in der Art von: “der kann mir doch nicht helfen” oder so ähnlich. Aber Gerhard scheint einen rührseligen Tag zu haben und begleitet mich. Vielleicht möchte er auch einfach nur nicht nach Hause, wo Katharina nicht mehr schwanger ist und überhaupt nicht mehr ist und sagt etwas in der Art von, “Na, mal sehen, in Zeiten wie diesen”, also gehen wir zu zweit zum Innereienmann. Unterwegs treffen wir noch Hans und Dieter, die auch beide nicht so gut gelaunt sind. Ihre Frauen sind auch zu den Wald-Arschlöchern abgehauen.
“Das gibt’s doch alles nicht”, sagt Dieter. Er hat eine Hasenscharte und riecht nach Kohl. Wir trinken noch eben ein Bier, das wir uns in der Schenke selber vom Zapfhahn lassen müssen, weil auch der Wirt alleine nicht mehr zurecht kommt. Danach brechen wir wieder zum Innereienmann auf, der jetzt auch unser Feuermann ist. Der hockt immer noch in seiner verdammt kalten Hütte und jammert über sein Arschloch auf dem verdammten Schaffell.
“Feingliedrige Bastarde, verdammte”, sagt er, als er die Sache mit Hans und Dieter hört. Die beiden wollten nicht mitkommen, sondern ein paar Grüne suchen und verprügeln. Vielleicht gäbe es auch einen Tross zum Hexenhaus hoch, wo sie ihr Glück bei der alten Schabracke versuchen wollten, ich weiß es nicht genau, Gerhard hat mir die Sache erzählt, nachdem ich vom Klo zurückgekommen war.
“Ja, spitzohrige Schleimscheißer, elendige”, sagt Gerhard.
“Ja, verdammt, die müsste man mal ordentlich rannehmen”, sagt der alte Innereienmann. Die Laune ist komplett im Keller. Wir regen uns alle mächtig auf und trinken aus der Schale, die der Innereienmann rumgehen lässt.
Gerhard und er besprechen ihre Angelegenheiten. Gerhard hat seine Hellebarde mitgebracht und spießt damit wichtigtuerisch im Zelt herum, das ansich viel zu klein dafür ist. Er hat allmählich ganz schön einen sitzen und ich mache mir Sorgen, dass er dem Innereienmann damit ein zweites Arschloch sticht. Der hat schon genügend Probleme mit dem ersten, denke ich mir und lache, ohne dass die beiden wüssten, warum. Aber es geht alles gut, die beiden verstehen sich prächtig. Ich sehe, während sie sprechen, wieder nach den Decken und den Teppichen in der Ecke und frage mich, ob die nackte Grüne wieder darunter liegt. Ich kann sie nicht finden. Es riecht nach Rauch und Pisse. Vielleicht könnte ich sie riechen, wenn es hier nicht so bestialisch nach Rauch und Pisse stinken würde, denke ich mir.
“Innereienmann, dem Kalle muss doch zu helfen sein, mit seiner Drachenscheiße-Sache!” sagt Gerhard irgendwann und stößt mich mit dem Griff der Hellebarde an.
“Ja, darüber haben wir schon gesprochen”, sagt der Innereienmann. Er ist sofort wieder so schlecht gelaunt wie neulich und setzt eine Miene auf, als hätte er teuflisches Sodbrennen. “Naja. Hm. Na, weißt du, Gerhard, ich hab’s Kalle schon gesagt, da müsste eben ein Drachendildo her.”
“Ein was?” sagt Gerhard.
“Ein Drachendildo”, sagt der Innereienmann, “Ein uraltes Artefakt, Gerhard. Ein Relikt. Sehr mächtig und all das, du weißt schon. Aber seltsam und ein bisschen, na du weißt schon … aufwändig, Gerhard.”
“Aufwändig? Soso”, sagt Gerhard.
“Ja. Soso. Aber das ist alles eine wahnsinnig leidige Angelgenheit, Gerhard. Ich hab’s Kalle schon gesagt. Wahnsinnig komplex und all das.”
“Aha. Sag bloß”, sagt Gerhard.
“Ja. Aha. Hat mit Legenden zu tun und mit all sowas, Gerhard. Willst du das wirklich alles hören?”
“Mit Legenden, was?” sagt Gerhard.
Der Innereienmann nickt. Ich behalte immer noch die Decken und die Teppiche im Auge. Bewegt sich da etwas? Habe ich etwas Grünes gesehen? Titten vielleicht? Ich muss ein wenig an Mimi denken.
“Ja, mit Legenden und all sowas! Schrecklich kompliziertes Zeug!”
“Ach. Mhm”, sagt Gerhard.
Ich kratze mich. Denke ich an etwas? Das ist es, was ich mich frage, während ich nach den Decken und den Teppichen und den vielleicht grünen Vielleicht-Titten starre.
“Ach, Kalle, weißt du”, sagt Gerhard. Er wedelt mit der Hand und hält mir unabsichtlich die Hellebarde unters Gesicht. “Das ist ja alles wirklich bedauerlich. Aber das ist mir zu hoch, all das. Ich meine, Legenden und so, Kalle, in Zeiten wie diesen, das ist wirklich aufwändig, Kalle, weißt du? Bedauerlich – ja. Aber das ist mir einfach zu hoch, Kalle.” Gerhard zerhackt wieder seine Truthahnköpfe. Es passiert selten neues bei uns hier draußen. Truthahnköpfe, denke ich mir. Mein Speck ist alle. Schon seltsam, was man so denkt.
“Ja”, sage ich und sehe von den Decken zum Schaffell, auf dem der Innereienmann noch immer umher rutscht, als würde sein Arschloch in Flammen stehen. “Ja, vielleicht hast du Recht, Gerhard.” Ich weiß nicht, ob ich das wirklich glaube, aber es fällt mir auch nichts besseres ein. Ich denke – ich versuche, zu denken. An alles Mögliche zu denken und so wie Mimi immer gedacht hat, aber ich glaube, ich bekomme es nicht so richtig hin. Ich kann in der Tat nicht einmal darüber nachdenken, ob ich denn jetzt so denke wie sie. Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, wie sie das immer angestellt hat. Bei ihr hat das immer so einfach ausgesehen. Vielleicht ist sie ja deswegen weg, denke ich.
Gerhard und ich und der Innereienmann saufen jedenfalls noch ein paar Schnäpse, die er uns in kleine Teekessel füllt, die mit rotem Met ausgewaschen sind. Sie schmecken gut. Das macht er jetzt selbst, erzählt der Innereienmann, seit seine Alte zu den verdammten Wald-Arschlöchern gegangen ist und all das. Er klingt stolz. Er erzählt noch von Werner und Armin, deren Frauen jetzt auch weggegangen sind. Wir haben eine gute Zeit. Es gibt auch noch Bier. Alles ist gut. Am Heimweg muss ich neuen Speck einkaufen, denke ich mir, während wir trinken und reden.
Abends gehe ich nach hause und scheiße direkt auf meinen riesigen Haufen Drachenscheiße hinter dem Haus. Ich mache mir nicht einmal die Mühe, die Hosen auszuziehen. Dabei esse ich Brot. Es ist hart, aber was macht das schon?
Der Rest ist mir zu hoch.

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